40 Grad Unter-
schied

“Was haben sie hier noch für unbeschwerte Landstriche”, schwärmte Bernhard von Portugal, das zu seinen Lieblingsländern zählte und für ihn ein Fluchtpunkt vor den mitteleuropäischen Realitäten darstellte. Vor allem das milde Klima an der Atlantikküste hatte es dem Schriftsteller angetan. “Ich bin ja ein Meerfanatiker. Ich brauch’ das Gefühl, dass das Meer in der Nähe ist, dann leb’ ich schon auf”. Ab 1974 reiste Thomas Bernhard regelmäßig nach Portugal. Häufig in Begleitung seines “Lebensmenschen”, Hede Stavianicek, aber auch mit dem Bruder oder der langjährigen Freundin Gerda Maleta, seinem “Schiacherl”. Noble Hotels und Kartenspiele hätten es ihm möglich gemacht, “quälende Gedanken wegzuwischen”. Zumindest kurzfristig, denn Eklat und Drama waren nie weit. Ebenso wenig Österreich. Erzählte Thomas Bernhard von Portugal, erzählte er im Vergleich. “Dort in Portugal hat’s zwanzig Grad über Null und da zwanzig Grad unter Null – vierzig Grad Unterschied”. Seine Liebe zu dem Land am äußersten Rand Europas währte bis zu seinem Tod. Es wäre aber nicht Thomas Bernhard, wenn er Portugal nicht auch kritisch gesehen hätte. “Das ist halt so, wenn Sie ein gutes Gebiss näher anschauen, dann sehen Sie auch, mit dem ist es nicht weit her”. Sprecher: Joseph Lorenz, Nikolaus Kinsky, Sabine Muhar, Ursula Scheidle Redaktion: Alfred Koch
Radio Feature 40 Min. 2018 | ORF Ö1